Der Traum

Geschrieben von Arya

Kapitel 1

Tiva wachte schweißgebadet auf. Was war das gewesen? Sie wusste es nicht. Es war etwas dunkles bedrohliches, aber zugleich auch wunderschönes, zartes gewesen. Was hatte sie nur geträumt?

Sie erinnerte sich nur noch schemenhaft daran, dass sie über eine Blumenwiese gelaufen war und mit einem Schmetterling von Blume zu Blume gelaufen war. Dann hatte sich der Himmel verdunkelt und etwas war passiert. Nur was? Es war als würde Tiva in einem Strom treiben, der sie immer weiter von dem fortbrachte, was sie wissen wollte.

"Ach was soll's", gähnte Tiva und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. 2:34 Uhr. Tiva warf sich zurück auf ihr Bett, doch etwas in ihr fand keine Ruhe. Der Traum hatte irgendetwas in ihr ausgelöst, nur was? Was, wie, wo, diese Fragen geisterten in ihrem Kopf herum. Schließlich hielt sie es nicht mehr länger aus, wälzte sich aus dem Bett und tapste zu ihrem Schrank. Sie zog sich einen Kapuzenpullover, und eine dunkle Jeans an, nahm sich ihr Halstuch und schlich aus ihrem Zimmer. Vorsichtig, ganz vorsichtig schob sie sich die Treppe hinunter, sodass ihre Eltern nicht aufwachten. Sie lief aus dem Haus und zum nahegelegenen Wald.

Die Dunkelheit machte ihr nichts aus, sie liebte sie. Sie lief langsam durch den Wald, bis zu ihrer Lieblingsbuche. Dort verharrte sie und begann schließlich zu ihrer geliebten Astgabel hinaufzuklettern. Plötzlich schnellte von dort oben ein Schlangenkopf hinab, Tiva fiel fast vom Baum, und die Schlange stieß zu. Sie grub ihre langen Giftzähne in Tivas Unterarm, so weit, dass sie glaubte, sie gleich hindurchstechen zu sehen. Dann wurde ihr schwarz vor Augen. Das letzte was Tiva registrierte, war dass sie nicht fiel, sondern sozusagen schwebte und dass jemand rief: "Keine Angst, du bist außerwählt, alles wird gut!" Dann wurde endgültig alles schwarz.

Weiß. Ein wenig schmutzig, aber dennoch weiß. Nichts anderes sah Tiva, als sie die Augen öffnete. Erst nach einiger Zeit nahm sie Deckenstützen, Seile und Streben wahr. Irgendwie fühlte sie sich schwer. So matschig. Außerdem tat ihr der Arm weh. Vorsichtig ließ sie ihren Blick schweifen. Sie lag auf einer Matte, etwas erhöht, eine warme Decke bis zur Brust gezogen. Neben ihr, auf einer kleinen Holzplatte stand ein gläserner Wasserkrug, zwei Gläser und eine Schale mit frischem Obst. Nun begriff sie auch, dass sie sich in einem Zelt befand. Die Zeltplanen waren weiß, ansonsten war das Zelt sehr in Grün- und Hellbrauntönen gehalten. Es standen lauter Kerzenhalter und Schwimmkerzen in kleinen Schüsseln herum und es war nicht schwer zu erraten, das die einzigen Lichtquellen, die man Nachts bekommen konnte, Kerzen waren. Da niemand zu sehen war, nahm Tiva mit ihrem unverletzten Arm den Krug und goss sich etwas ein. Als sie den ersten Schluck nahm, merkte sie, dass dies kein normales Wasser war. Es schmeckte erfrischend und ein wenig nach Minze. Tiva trank das ganze Glas aus und spürte plötzlich, wie eine bleierne Müdigkeit auf sie herabsank.

Mit einem leisen Seufzer kuschelte sie sich wieder in ihre Decken und schlief weiter.
Als sie das nächste mal erwachte, waren auch ihre Erinnerungen wieder da. Auch wenn sie beim ersten mal einfach nur in einer etwas dämmrigen Glückseligkeit  geschwebt war, erinnerte sie sich jetzt wieder an die Schlange und den Traum. Eine Gestallt beugte sich über sie. "Du bist wach", stellte das Mädchen fest. Wie alt sie wohl sein mochte? Fünfzehn? Siebzehn?

"Ich sorge für dich, bis es dir wieder gut geht", erklärte sie. "Mein Name ist Mava." 

"Gut", sagte Tiva, weil ihr nichts anderes einfiel. "Kannst du mir sagen, was genau mich verletzt hat, und wie ich hierhergekommen bin?"

"Du wurdest von einer Norai-Otter gebissen. Es ist eine der giftigsten des Landes."

"Und wieso lebe ich dann noch?"

"Die älteste hat dich gerettet", sagte Mava schlicht, "außerdem haben alle ältesten gewusst, dass du überleben würdest." 

"Wieso?", jetzt sah Tiva eindeutig nicht mehr durch, "und wie kam ich her?"

"Ich kann dir weder auf die eine noch auf die andere Frage eine Antwort geben. Sie wussten es einfach, und ich weiß auch nicht warum du hier bist, oder wie du hergekommen bist. Möchtest du etwas Obst?"

"Ja." Tiva setzte sich vorsichtig auf. "Was gibt es denn?"

"Trauben, verschiedene Beeren, Melone und Honigkürbis. Oder möchtest du von allem etwas?"

Tiva nickte nur. Kurz darauf saß sie mit einem Tablett auf dem Schoß in ihrem "Bett" und aß Obst. Mava war geschäftig herumgeeilt, hatte die dicke Decke gefaltet, in einen kleinen Schrank gepackt und ein leichtes Laken über Tiva gebreitet. Außerdem hatte Mava den Verband über der Bissstelle erneuert. Es hatte stark geblutet, sehr wehgetan und die Wunde sah nicht besonders schön aus. Grüne und blaue Striemen zogen sich in alle Richtungen von der Wunde weg, und die Ränder der Bisslöcher waren verkrustet. Mava hatte Blätter darauf gelegt, die höllisch brannten und band einen neuen weißen Verband darum. Dann hatte sie darauf bestanden, dass Tiva zwei Gläser des einschläfernden Wassers trank, weil, so sagte Mava, dies gegen die Schmerzen half. Da es Tiva schon besser ging, schlief sie davon nicht mehr ein, wurde aber etwas schummrig im Kopf. Die Früchte schmeckten so ähnlich wie die, die sie kannte, doch auch irgendwie fremd. Von dem Honigkürbis hatte sie noch nie etwas gehört, also biss sie erst ein zögerlich kleines Stück ab, doch als sich der Geschmack entfaltete, biss sie immer mehr und mehr ab.

"Schmeckt's?", fragte Mava grinsend.

"Mtschja!", mampfte Tiva und versuchte mit vollem Mund zu sprechen. Nach dem Essen wurde es langsam heiß im Zelt, und so öffnete  Mava einige Lüftungslappen, oben in der Zeltplane. Tiva schaute durch die schmalen Streifen in den Himmel und mit dem Luftzug im Gesicht schlief sie abermals ein.

Mava trug am Abend die Platten mit dem Essen in Zelt und stellte beruhigt fest, dass das Mädchen immer noch schlief. Wenn sie aufwachte, musste sie ihr unbedingt noch ihren Namen sagen. Vorsichtig stellte sie das Essen neben das Mattenbett. Dann betrachtete sie das unbekannte Mädchen genauer. Sie trug einen dunklen Pullover, dessen einer Ärmel hochgekrempelt war, sodass man den Verband sehen konnte, eine seltsame Hose, wie Mava sie noch nie gesehen hatte, und Schuhe, die Mava ebenso unbekannt waren. Das Mädchen hatte ein hübsches Gesicht, stellte Mava fest. Lange braune Haare, Sommersprossen, eine nicht zu große Nase. Die Augenfarbe musste Mava später noch herausfinden. Sie nahm den Wasserkrug und ging damit zum Küchenzelt, um ihn aufzufüllen. Sie tat etwas Zitrone, etwas Minze und einen Würfel mit dem mittel, welches die Schläfrigkeit verursachte und den Schmerz nahm, hinein. Als sie wider ins Zelt zurückkam war das Mädchen wach und sah sie aus dunkelbraunen Augen an. Auch Mava wurde nun von Tiva gemustert. Ein blondes Mädchen mit bernsteinfarbenen Augen und einer geraden Nase. Sie trug ein hellgrünes Leinenkleid und Ledersandalen.

"Wie heißt du eigentlich?", fragte Mava plötzlich.

"Tivelia. Und mit Nachnamen heiße ich Dornau", antwortete Tiva. "Aber bitte nenn mich Tiva, ich hasse den Namen Tivelia." 

"Oh, da bist du nicht die einzige, die ihren vollständigen Namen hasst!", sagte Mava lachend, "meine Mutter hat mich doch tatsächlich Mareleiva genannt!"

"Da bist du ja noch übler dran als ich!", kicherte Tiva, "da hab ich's ja noch gut!"

Mava wurde wieder ernst und fragte: "Was möchtest du denn essen, Tiva? Ich habe von allem, was wir heute gekocht haben, ein wenig mitgebracht, nur Fleisch habe ich keins, weil unser Stamm keine Tiere tötet."

"Ich möchte von allem ein bisschen!", sagte Tiva. Bei sich dachte sie aber: unser Stamm? Wo bin ich denn hier gelandet?!

"Und dazu", riss Mava sie aus ihren Gedanken, "musst du drei von diesen Beeren, dieses Blatt und zwei Beeren hiervon essen. Das vertreibt das Gift aus deinem Körper. Kannst du den Arm eigentlich schon wieder bewegen?"

Tiva versuchte es, schaffte es aber nicht. Es tat unglaublich weh, sodass sie sich mit einem Stöhnen zurück aufs Bett fallen ließ.

Am nächsten Tag brachte Mava neue Kleider für Tiva, da ihre blutig und dreckig waren. Als Mava ihr auch neue Schuhe aus Leder bringen wollte, behielt sie aber ihre Chucks an. Sie bekam ein blaues, langärmeliges Kleid aus einem schweren Stoff, welcher, als sie das erste mal aufstand, wunderbar um sie herumschwang. Tiva hatte höchstens mal als Kleinkind Kleider getragen und dann nie wieder, aber dieses Kleid liebte sie sofort. Mava band ihr eine Armschlinge aus Leder um, in die sie vorsichtig Tivas Arm legte. Dann nahm Mava sie mit, um ihr, wie sie sagte, "alles zu zeigen". Tiva war etwas wackelig auf den Beinen, aber das gab sich rasch.

"Wie alt bist du eigentlich?", fragte Tiva an Mava gewandt.

"Ich bin fünfzehn, und du?"

"Dreizehn", antwortete Tiva knapp, als sie aus dem Zelt traten.

Dann traute sie ihren Augen nicht. Rings um sie erstreckte sich ein Zeltdorf. Kleinere und größere, weiße, braune, grüne Zelte. Zelte mit Mustern oder einfarbige Zelte. Tiva bekam den Mund vor Staunen nicht mehr zu. Mava führte sie überall herum und machte hin und wieder Anmerkungen wie: "Hier ist die Küche, dort die Wasserstelle und hier das Zelt unserer Anführerin." Zum Schluss kamen sie noch zu einer großen Koppel mit Pferden. Mava pfiff und rief: "Ciron, Nainui!" Auf ihren Ruf kamen zwei Pferde an den Zaun getrabt. Ein Rapphengst und eine braune Stute mit schwarzer Mähne. "

"Sie sind für dich", sagte Mava ohne Einleitung. "Der Rappe heißt Ciron, er ist sehr schnell und temperamentvoll. Die Braune hier ist Nainui. Sie ist schneller als alle anderen und sie ist unglaublich sanft. Du kannst einen Säugling auf ihren Rücken legen und sie passt auf das er nicht hinunterfällt. Du kannst doch reiten, oder?"

"Ja. Ja kann ich", stammelte Tiva. "Das sind jetzt wirklich meine? Das ist doch jetzt nicht echt wahr, oder?"

"Doch", schmunzelte Mava. "Das sind deine Pferde. Natürlich gehören sie eigentlich nur sich selbst und dem weiten grünen Steppenland, aber in diesem Stamm werden sie als deine angesehen, das heißt, dass kein anderer sie ohne deine Erlaubnis reiten oder für sonstige Arbeiten nutzen darf. Du darfst sie allerdings immer, wenn dir der Sinn danach steht, reiten. Sattelzeug und alles weitere bringe ich dir später."

Nun sah sie zu Tiva hinüber und bemerkte, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.

"Halt ihnen noch deine Hand hin, dann erkennen sie dich später wieder."

Tiva tat wie geheißen. Sie merkte nur noch verschwommen das Kribbeln von Pferdehaaren auf ihrer Haut und wie Mava sagte: "Nun aber schnell zurück zum Zelt, du solltest eigentlich noch nicht so lange aufstehen und herumlaufen. Komm, schön langsam, gleich sind wir da."

Obwohl Tiva so erschöpft war, konnte sie die ganze Zeit an nichts anderes als an Ciron und Nainui denken. Am Zelt angekommen, setzte sie sich erschöpft auf ihr Mattenbett. Aber sie durfte nicht lange ausruhen. Nach wenigen Augenblicken kam ein Mann herein, der einen Bogen und ein Schwert im Arm hatte. Mava seufzte einmal kurz, dann nickte sie dem Mann zu. Er blieb vor Tivas Lager stehen, deutete eine Verbeugung an, und überreichte ihr die Waffen.

"Hier. Die sind für dich. Wofür sie sind, wird dir morgen erklärt. Mir scheint nämlich, dass du heut zu müde dafür bist."

Und damit verließ der Fremde das Zelt.

"Wo zum Kuckuck bin ich hier gelandet?", fragte Tiva verzweifelt. "Ich verstehe Garnichts mehr."

"Schlaf jetzt", beruhigte Mava sie. "Ich werde es dir morgen erklären, schlaf nun, du bist unglaublich erschöpft."

Und beim nächsten Blick zu Tiva schlief diese auch schon wieder.

Kapitel 2

Es war schon fast wieder Abend, als Tiva aufwachte. Das sie nun zwei Pferde hatte, konnte sie gar nicht glauben. Mava war nirgends zu sehen, aber das Mittagessen, welches sie verschlafen hatte, stand neben ihr auf dem Boden. Es sah nach Fladenbrot und Öl aus. Dazu ein Ei.

Sie ließ es sich schmecken und trank noch ein wenig Wasser. Als sie fertig war, zog sie ihre Schuhe an und ging nach draußen. Ihr war schon auf der Runde mit Mava aufgefallen, dass es im ganzen Lager kein Plastik zu geben schien und die Zelte ziemlich primitiv aussahen.

Abermals fragte sie sich, wo sie wohl gelandet sein mochte. Da sie es eh nicht wusste, ging sie zur Pferdekoppel. Sie rief vom Gatter aus nach ihren Pferden, konnte sie aber nicht in der Herde ausmachen. Die beiden hatten sie scheinbar nicht gehört, und so kletterte sie über den Zaun. Der verletzte Arm war ziemlich hinderlich, aber Mavas Lederschlaufe bewährte sich und hielt den Arm da, wo er bleiben sollte. Als sie es hinüber geschafft hatte, ging sie langsam auf die Herde zu. "Ciron, Nainui!", rief sie, diesmal etwas lauter. Irgendwo wieherte etwas. Nainui! Sie kam, Ciron im Schlepptau, auf Tiva zu. Die beiden beschnupperten sie zögerlich, da sie sie erst einmal gesehen hatten, schienen sie dann aber wiederzuerkennen. Tiva ging mit ihnen von der Herde weg zum Zaun. Dort holte sie ein paar Trauben aus ihrer Rocktasche und verfütterte diese. "Tiva?!", rief plötzlich eine Stimme hinter ihr, "Tiiiiiiiiiiivaaaaaaaaaaa??!! Ach, da bist du ja!" Mava blieb vor ihr stehen. "Du darfst noch nicht alleine durchs Lager gehen! Dir könnte keine-Ahnung-was passieren! Komm, ich soll dich zum Stammesrat bringen, sie wollen dir ein par Sachen erklären! Ich habe schon überall nach dir gesucht und der Rat wartet nicht gerne!" So schnell sie konnten, liefen sie durchs Lager zum Versammlungszelt.

Im Zelt saßen elf Leute. Drei davon waren so alt, dass Tiva Angst hatte, sie müssten gleich zu Staub zerfallen. Außerdem waren auch zwei Jungen dabei, die etwas älter als Mava sein mussten. Der Restlichen schienen so zwischen 20 und 40 zu sein.

"Tiva", begrüßte sie die Frau, die am allerältesten aussah. "Du wirst viele Fragen haben, setz dich doch bitte." Und an Mava gewandt fügte sie hinzu: "Setz dich dazu, Mava Schätzchen, die Dinge sind auch für deine Ohren von Bedeutung." Mava tat wie geheißen und raunte Tiva zu: "Das ist meine Urgroßmutter, Dhálan Nái. Sie ist die Älteste und Weiseste unseres Dorfes." Dann verstummte sie schnell, da Dhálan Nái sich in ihren Kissen aufgerichtet hatte. "Tiva. Wir sind heute alle zusammengekommen, um dir ein par Fragen zu beantworten. Aber zuerst möchte ich dir die Anderen vorstellen. Dieser Junge hier heißt Koshko und der andere Junge, da hinten, heißt Nivlo. Er heißt Bargad, dies ist Nello. Die Frau, da hinter Bargad, heißt Nivin, und sie Amil. Er, an der Seite, heißt Voiku und das ist Silos. Die beiden anderen Ältesten heißen Ashonu und Naivi. Ich bin Dhálan Nái. Möge zuerst unser jüngstes Mitglied sprechen!"

Koshko trat in die Mitte des Zeltes, verbeugte sich vor den Ältesten und begann zu sprechen. "Ich bin, wie schon gesagt wurde, Koshko. Ich wurde in deine Welt gesendet, um dich herzuholen. Falls du nun überhaupt nichts verstehst, ganz von Anfang an. Also: Es gibt verschiedene Welten. Du hast in der einen und wir in der Anderen gelebt. Es gibt Tore zwischen den dazwischen, durch die allerdings nur geübte Springer, so nennt man die Menschen, die die Welten wechseln, die Welten wechseln können. Ich bin also durch das nahegelegenste Tor gesprungen. In deiner Welt musste ich mich erst mal etwas an eure seltsamen Dinge gewöhnen und habe dich dann beobachtet. Ich fand heraus, dass dein Lieblingsplatz, die alte Buche, sehr nahe am Tor lag. Eines Nachts kamst du plötzlich angelaufen, während ich auf dem Baum saß. Die Gelegenheit hätte nicht günstiger sein können, und so ließ ich dich von der Schlange-" "WAS?? Du warst das mit der Schlange?!", unterbrach ihn Tiva heftig, "aber wieso?" "Beruhige dich Tiva", beschwichtigte Koshko sie. "Ja, ich war das mit der Schlange. Für Nicht-Springer ist das Gift der Norai-Otter die einzige Möglichkeit, die Welten zu wechseln. Nicht jeder kann Springer werden. Zuerst braucht man eine erbliche Veranlagung und das reich noch längst nicht aus. Man benötigt außerdem eine jahrelang dauernde Ausbildung. Das Gift ist zwar enorm giftig, verleiht einem aber die Fähigkeit, für ein bis zwei Stunden in Begleitung eines Springers die Welten zu wechseln. Ich wusste, dass Dhálan Nái das Gift heilen kann und deshalb habe ich dich von der Schlange beißen lassen. Ich habe dich genommen und bin mit dir zum Tor gerannt. Auf dieser Seite wurde ich gleich von Dhálan Nái empfangen, die sofort die Ausbreitung des Gifts gestoppt hat. Wir haben dich zum Lager gebracht und dich vollständig geheilt. Also nicht vollständig, aber weißt du was ich meine?" Tiva nickte. "Ja, ich verstehe so ungefähr, auch wenn mein Gehirn sich anfühlt, als währe es in die Zentrifugalmaschine geraten." Koshko schaute sie kurz irritiert an, und erzählte dann weiter. "Gut. Wir sind vor sechs Tagen durch das Tor gekommen." "Moment mal, sechs Tage? Ich kann mich aber nur an drei erinnern!" "Du hast geschlafen.  Zur vollständigen Heilung muss man schlafen." "Du hast mir zwar eine Menge erzählt, aber immer noch nicht, warum ich eigentlich hier bin.",, "Ich kann diese Frage nicht vollständig beantworten, und gebe mein Wort nun an Dhálan Nái weiter." Er setzte sich wieder auf sein Kissen, wobei er eine urkomische halbe Verbeugung machte. Tiva prustete los. Ein scharfer Blick von, wer war sie? Tiva glaubte, dass es Nivin war, brachte sie urplötzlich zum Schweigen.

Dhálan Nái richtete sich in ihren Kissen auf. "Danke mein Junge. Wir haben dich, Tiva, hierher geholt, weil in unseren Prophezeiungen steht, dass ein Mädchen aus der anderen Welt zu uns springen wird, und dass sie uns vor großen Gefahren schützen soll." "Und das glaubt ihr echt? So eine komische Prophezeiung und schon reißt ihr mich aus meiner Welt?!" Tiva konnte sich den Kommentar nicht verkneifen. "Ich verstehe deine Zweifel, aber es ist nicht irgendeine Prophezeiung. Diese Prophezeiung ist dreihundert Jahre alt." Dhálan Nái schaute Tiva verstehend an. "Schön und gut, aber woher wollt ihr wissen, dass ausgerechnet ich dieses Mädchen bin?" "Weil dein Name Teil der Prophezeiung ist", meldete Amil sich zu Wort. "Dort steht," sie zog eine Rolle faserigen Papiers aus ihrem Ärmel, "in dreihundert und sieben Jahren wird Tivelia Dornau, geheißen "Tiva", in dieses Land springen und unser Volk vor großem Unheil bewahren." So wurde es vor dreihundert und sieben Jahren von dem Weisen Aikhar Rhúvonji prophezeit." Tiva konnte es nicht glauben. Wie hatte ein alte Mann vor dreihundert Jahren ihren Namen wissen können? Sogar den vollständigen? "Wir wissen, dass du verwirrt bist", ergriff nun wider Dhálan Nái das Wort. "Wir wollen dich nicht noch weiter mit verschiedenen Welten oder Prophezeiungen durcheinanderbringen. Es ist wie es ist. Du bist hier, und über das wie und warum brauchst du dir erst mal keine Sorgen zu machen. Lasst uns nun darüber sprechen, was weiter geschehen soll. Bargad?" Bargad war groß und hatte einen zotteligen schwarzen Bart. Er sah zwar einerseits aus, als könne er Wölfe mit der Faust erschlagen, hatte andererseits irgendwie die gemütlich-gefährliche Ausstrahlung eines Nilpferdes. "Du brauchst eine Ausbildung", sagte er ruhig, mit tiefer Stimme. "Die Gefahr, welche in der Prophezeiung vermerkt ist, ist wahrscheinlich Krieg. Schon lange giert der Herrscher dieses Landes nach unseren Feldern und Wiesen. Außerdem gibt es Stämme, die uns um unsere Pferde beneiden. Es könnte bald zu einer Eskalation kommen. Du musst Fechten und Bogenschießen lernen und dies auch im Sattel beherrschen. Du musst reiten können wie wir. Ich hoffe, dass du schon ein wenig reiten kannst?" Als Tiva nickte, atmete er erleichtert auf. "Wir werden dir auch die Grundlagen der Magie beibringen." "Magie?", unterbrach ihn Tiva, "Magie gibt es doch gar nicht!" "Dann schau genau her", sagte Bargad. "Hier", er streckte seine Hand aus, murmelte ein par unverständliche Wörter und siehe da, auf seinen Fingerkuppen tanzten Flammen. Er schüttelte lässig die Hand, die Flammen fielen wie Regentropfen von ihr ab und verglühten auf halbem Weg zum Boden. Bargad pflückte einen Feuertropfen aus der Luft. Er verwandelte sich in eine Wunderschöne Feuerblume. Bargad legte sie in Tivas Hand. Sie zuckte zurück, vor Angst sich zu verbrennen, doch die Blume war nur angenehm warm. "Pass gut auf sie auf", Bargad lächelte, "Sie wird so lange am leben bleiben, wie auch du lebst. Und in kalten Zonen kann sie dir das Leben retten." Sprachlos starrte Tiva die Blume an. "Ich vermute, dass du nun an Magie glaubst?" Tiva schmeckte ein Lächeln auf ihren Lippen. "Ja", antwortete sie, "ja, ich glaube es." Auf einmal spürte sie eine unglaubliche Erschöpfung auf sich zukriechen. "Kann ich jetzt einfach nur noch zwei Dinge wissen?" "Es sei dir gewährt", antwortete Dhálan Nái. "Gut. Wo genau befinden wir uns und wie heißt das Dorf?" Amil antwortete: "Wir befinden uns im Land Assaví'n in den südwestlichen Steppenregionen. Es gibt hier sehr viele flache Grasflächen, wenig Bäume, aber auch Täler mit Hügeln oder sogar Bergen ringsherum. Dieses Dorf hat keinen Namen, aber unser nennt sich "Munawi". Was ist deine zweite Frage?" "Was hat es mit dem Traum auf sich, den ich hatte, bevor ich in den Wald und zur Buche ging?" Die Ratsmitglieder sahen sich erstaunt an, und Amil antwortete: "Von einem Traum wissen wir nichts." Gut, dachte Tiva, das währe auch zu schön gewesen, wenn ich darauf auch eine Antwort erhalten hätte. "Darf ich jetzt in mein Zimmer?" Mava, die bisher geschwiegen hatte, wandte sich an Dhálan Nái: "Lass uns gehen, sie ist noch schwach, es ist nicht gut, wenn sie so erschöpft ist." "Dann müsst ihr wohl gehen", sagte Dhálan Nái, "Du wusstest immer schon, was am besten für Mensch und Tier ist. Geht ruhig! Mava, hol dir eine Binsenmatte, du sollst ab jetzt bei Tiva wohnen." "Wie du sagst, Urgroßmutter, ich werde es tun. Tiva komm, wir gehen zum Zelt."

Die beiden liefen langsam, und so gut sie konnten, zum Zelt zurück. Tiva setzte sich auf ihre Matte und nahm sich ein par Weintrauben. "Ganz schön hart für dich, oder?", fragte Mava mitleidig. "Ich könnte es nicht so verkraften, wenn ich plötzlich in einer anderen Welt landen würde." "Ich glaube", begann Tiva, "ich bin im Moment einfach zu geschockt, um das wahrzunehmen. Außerdem bin ich unglaublich müde. Mava, gibt es hier irgendwo Tee?" ,,Ja, wenn du möchtest, kann ich dir einen mitbringen, wenn ich meine Sachen hole." "Ach ja, du ziehst ja zu mir! Was für Teesorten gibt es?" "Oh, wir habe Feigenblätter oder Früchtetee." "Dann nehme ich Früchtetee." Mava ging aus dem Zelt. Sie lief geschwind zu ihrem Familienzelt und berichtete ihrer Mutter von ihrem Umzug. Als sie mit ihren Sachen und dem Tee zurückkam, schlief Tiva schon. Mit einem Lächeln begann Mava ihre Sachen auszubreiten und sich einzurichten.

"Weißt du Mava", sagte Tiva, als sie am späten Abend auf ihren Matten saßen und sich unterhielten, "ich finde eure Welt gut, sie gefällt mir." "Hast du denn keine Eltern oder andere Verwandte auf deiner Seite der Tore?" "Doch, aber ich mochte sie nicht. Sie haben mich genervt. Sie machte einen besorgten Ton nach: "Tivelia, warum kommst du so spät? Tivelia, es ist nach sechs Uhr, du musst nach drinnen kommen! Pass auf, und geh immer auf direktem Weg nach Hause, Tivelia!" "Das hört sich ja furchtbar an!", rief Mava, aber nach was musstest du ins Haus gehen?" "Nach achtzehn Uhr." "Was ist eine Uhr?" "Eine Uhr? Die hat doch fast jeder! Schau, das ist eine Uhr!", antwortete Tiva und friemelte ihre Armbanduhr unter dem Ärmel ihres Kleides hervor. Mava betrachtete staunend die sich bewegenden Zeiger. "Und was ist jetzt diese Uhr?" "Sie zeigt die Zeit an. Das heißt..., wenn es Abend ist, ist der Zeiger hier so." Sie zeigte auf die entsprechenden Punkte. "Und hier ist achtzehn Uhr. Man liest auf einer Uhr ab, wann es Morgends, und so ist. Eben die genaue Uhrzeit. So kann man sich zum Beispiel genau dann und dann treffen. Mava schaute immer noch irritiert. "Wir lesen die Zeit an der Sonne oder den Sternen ab. Und wenn es wolkig ist, spüren wir es. Aber macht das nicht jeder so?" "In meiner Welt können die Leute das nicht mehr. Sie können es nicht mehr nach der Sonne oder den Sternen." "Das ist schade." "Ja", seufzte Tiva, "ja das ist es."

Zu dieser Geschichte gibt es 26 Kommentare

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Zora – 9. Februar 2022

Das ist echt cool. Wie alt bist du eigentlich, Arya? Und gibt es bald wieder eine Fortsetzung?

Mondklaue – 25. Februar 2021

Super tolle Geschichte, gibts ne Fortsetzung ?

Nils – 8. März 2020

Oh, da brauchtest du sicher lange!!!

Arya – 28. Februar 2019

@Tilda: Danke

Tilda – 21. Februar 2019

Hört sich echt schön an, du hast auf jeden Fall wirklich Talent

Arya – 12. Januar 2019

Oh danke Kathie! Ich muss mich nur mal dazu aufraffen, die Fortsetzungen in den Computer zu tippen, ich kann nämlich nicht 10 Finger schreiben und bin dementsprechend ziemlich langsam

Kathie – 1. Januar 2019

Wow, die Geschichte ist echt super, du gibst dir richtig Mühe! Du hast Talent!

Arya – 14. November 2018

Aber müsste sie nicht eigentlich oben liegen?

Arya – 13. November 2018

Ach da ist die Fortsetzung ja schon! Danke Insa!

Luna – 1. November 2018

Tolle Geschichte! Echt voll cool!

Arya – 30. Oktober 2018

Please excuse my scary english...

Arya – 30. Oktober 2018

@Christie: I´m 12 years old. Did you read my other Stories? heart

Christie – 28. Oktober 2018

How old are you, Arya?

Christie – 28. Oktober 2018

Arya, where do you find ideas? You write so well!

Arya – 27. Oktober 2018

@Teresafünkchen: Bei mir zuhause auf Papier bin ich gerade bei der 10. Fortsetzung, die schick ich so nach und nach rein

Teresa Fünkchen – 26. Oktober 2018

Gibts auch noch ne 3. Fortsetzung?

Arya – 22. Oktober 2018

Ach endlich, Ninya!!! Kommst du Freitag zum Chat? Ich hoffe, dass es die Ninya ist, die ich kenne...

Ninya – 22. Oktober 2018

Super Arya

Arya – 19. Oktober 2018

Ich habe gerade die 2. Fortsetzung rausgeschickt.

Arya – 18. Oktober 2018

@Elea Eigentlich nicht, aber die Namen sind mir so zugelaufen. Es wird noch weitere Fortsetzungen geben (die schick ich in den Ferien, da hab ich Zeit) und da sind die Namen nicht mehr mit so vielen "Vs"

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