Herr der Diebe

Herr der Diebe

Venedig ist das perfekte Versteck für eine Bande heimatloser Kinder. Doch Victor ist ihnen auf der Spur, und der Auftrag des geheimnisvollen Conte bringt sie alle in Gefahr.

Der Herr der Diebe - das ist der geheimnisvolle Anführer einer Kinderbande in Venedig, die er mit dem Verkauf der Beute aus seinen Raubzügen über Wasser hält. Keiner kennt seinen Namen, seine Herkunft. Auch nicht Prosper und Bo - zwei Ausreißer, die auf der Flucht vor ihrer Tante und dem Detektiv Victor Unterschlupf bei der Bande gefunden haben. Als Victor den Kindern tatsächlich auf die Spur kommt, bringt er dadurch alle in Gefahr. Aber endgültig scheint die Gemeinschaft der Bande aufzubrechen, als ein rätselhafter Auftrag, erteilt von dem mysteriösen "Conte", die Kinder auf eine Laguneninsel führt. Diese Insel, von außen unbewohnt und einsam scheinend, birgt ein Geheimnis, das alles verändert.

Eine Wasserratte huschte erschrocken davon, als die Kinder sich den engen Gang hinuntertasteten. Der Weg führte zu einem Kanal, wie so viele Gassen und Gänge der Stadt, aber Wespe, Prosper und Bo folgten ihm nur bis zu einer Metalltür, die auf der rechten Seite in der fensterlosen Mauer war. Mit ungelenken Buchstaben hatte jemand vietato ingresso darauf gepinselt, Betreten verboten. Früher war dies einer der Notausgänge des Kinos gewesen, jetzt verbarg sich hinter der Tür ein Versteck, von dem nur sechs Kinder etwas wussten. Prosper zog zweimal kräftig an der Schnur, die neben der Tür baumelte, wartete einen Moment und zog dann noch einmal. Das war ihr Zeichen, aber es dauerte eine ganze Weile, bis jemand öffnete. Bo trat schon ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, als sie endlich hörten, wie der Riegel zurückgeschoben wurde.

Nur einen schmalen Spalt breit öffnete sich die Tür. "Parole?", fragte eine misstrauische Stimme. "Komm, Riccio, du weißt doch, dass wir uns die nie merken können!", raunte Prosper ärgerlich. Und Wespe trat auf den Spalt zu und zischte hinein: "Siehst du die Tüten in meiner Hand, Igelchen? Die habe ich vom Rialtomarkt bis hierher geschleppt. Meine Arme sind bald so lang wie Affenarme, also mach endlich auf!""Ja, ja schon gut. Aber wehe, Bo verpetzt mich wieder bei Scipio, wie letztes Mal!" Mit besorgtem Gesicht öffnete Riccio die Tür.

Mager war er und einen ganzen Kopf kleiner als Prosper, obwohl er nicht viel jünger war. Zumindest behauptete Riccio das. Sein braunes Haar stand ihm so struppig vom Kopf ab, dass es ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte: Riccio – der Igel. "Keiner von uns kann sich Scipios Parolen merken!", schimpfte Wespe, während sie sich an ihm vorbeischob. "Das Klingelzeichen reicht doch." "Da ist Scipio anderer Meinung." Sorgfältig schob Riccio wieder den Riegel vor. "Dann soll er sich Parolen ausdenken, die man sich leichter merken kann. Weißt du etwa noch die vom letzten Mal?" Riccio kratzte sich den struppigen Kopf. "Warte mal – Katago dideldum est. Oder so." Bo kicherte und Wespe verdrehte die Augen. "Wir haben schon mit dem Aufräumen angefangen", erzählte Riccio, als er ihnen mit der Taschenlampe den dunklen Flur entlangleuchtete. "Aber sehr weit sind wir noch nicht gekommen. Mosca will immer nur an seinem Radio rumbasteln. Und bis vor einer Stunde haben wir vor dem Palazzo Pisano herumgestanden. Warum Scipio sich ausgerechnet den Palast für seinen Raubzug hat, ist mir ein Rätsel. Fast jeden Abend ist dort irgendetwas los, Feste, Empfänge, ich glaub, alle vornehmen Familien der Stadt geben sich da die Klinke in die Hand. Wie will Scipio da jemals reinkommen?" Prosper zuckte nur die Achseln.

Ihn und Bo hatte der Herr der Diebe bisher noch nicht zum Kundschaften geschickt, obwohl Bo Scipio ständig darum anbettelte. Meistens zogen Riccio und Mosca los, wenn es um das Beobachten der Paläste ging, denen Scipio einen nächtlichen Besuch abstatten wollte. Seine Augen nannte er die zwei, während Wespe dafür zuständig war, dass das Geld vom Verkauf seiner Beute nicht zu schnell ausgegeben wurde. Prosper und Bo, als neueste Schützlinge des Herrn der Diebe, hatten bisher höchstens mitkommen dürfen, wenn die Beute verkauft wurde oder Einkäufe erledigt werden mussten, so wie heute. Prosper war das nur recht. Aber Bo wäre zu gern mit Scipio in die vornehmen Häuser der Stadt geschlichen, um all die wunderbaren Dinge zu stehlen, die der Herr der Diebe von seinen Beutezügen mitbrachte.

Es gibt viele Geschichten über Kinder, die nicht erwachsen werden wollen, berühmte Geschichten wie 'Peter Pan' oder 'Pippi Langstrumpf'. Aber gibt es auch eine über Kinder, die sich nichts mehr wünschen, als erwachsen zu sein? Die es gar nicht abwarten können, endlich all das zu tun, was man als Kind nicht tun kann...

Ich war so ein Kind. Ich wollte erwachsen sein (und ich finde es auch heute noch ziemlich spannend) und eines Tages kam mir die Idee, eine Geschichte über einen Jungen zu schreiben, der denselben Traum hat, ja, der sogar so tut, als sei er erwachsen.

Wo mir die Idee kam? In Venedig. Natürlich. Wo sonst? Und deshalb spielt sie auch dort. Venedig ist ein verzauberter Ort, aber er ist auch sehr wirklich. Er ist nicht wie Hogwarts oder Mittelerde, nach Venedig kannst du hinfahren, du kannst es anfassen, riechen, schmecken — ich wollte, dass viele, viele Kinder erfahren, dass es einen solchen Ort gibt, dass die Wirklichkeit sehr aufregend sein kann!

Ich bekomme oft Post von Kindern, die mit dem Buch hingefahren sind und alle Orte gesucht haben. "Cornelia", schreiben sie, "es ist genau, wie du gesagt hast." Nur das Karussell finden sie nicht. Aber vielleicht fragen sie sich, ob sie aufsteigen würden?

Also... schlagt das Buch auf. Schleicht Prosper, Wespe und Bo nach zum Sternenversteck... und hoffentlich wisst ihr das Passwort.